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Quo vadis, Ökonomie – Unternehmen am Scheidepunkt

Lothar Wenzl I 25.11.2020


Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für uns ist die Situation in der Welt, die Situation der Gesellschaft inkl. der Ökologie und in ihr die Situation der Unternehmen und Organisationen eine, die uns nicht kalt lässt. Die Welt steht an mehreren, deutlich sicht- und spürbaren Grenzen. Das neoliberale Wirtschaftssystem als momentanes Leitsystem der Welt (Stephan Schulmeister bezeichnet es gar als Weltanschauung, siehe Interview "Ökonomie der Zukunft und wie kommen wir da hin?") steht vor dem Ende, der vorherrschende Glaube an unbegrenztes Wachstum, das System der Nicht-Kooperation und des unbegrenzten Individualismus ist entscheidend mitverantwortlich, dass wir mitten in einer existentiellen ökologischen Krise stehen, die wohl kaum jemand mehr zu leugnen imstande ist. Die Gesellschaft ist zumindest in der industrialisierten Welt in der Phase der Dekadenz. Dies ist ein Befund, der niederschmetternd klingt, nicht wahr? Und kommt dabei noch ganz ohne Covid19 aus.

Gleichzeitig sehen wir als Gegenbewegungen viele Entwicklungen, die uns Hoffnung machen. Gesellschaftliche Bewegungen wie die große Fridays for future Bewegung, einen Trend zu biologisch/nachhaltiger Produktion in der Landwirtschaft oder auch im hochwertigen Textilbereich, ein neugewählter US-Präsident, der als erstes wieder den Beitritt zu den Pariser Klimazielen ankündigt und mehr und mehr Unternehmen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerechter werden wollen. Und nicht zuletzt die 17 SDGs, die Sustainable Development Goals, die auf Betreiben der UNO schon 2015 von allen 193 UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurden. Dies ist ein anderer Befund, der weitaus hoffnungsvoller klingt.


Zwischen diesen Polen bewegt sich derzeit eine Menschheit und man muss wohl kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass die nächsten Jahre entscheidend dafür sein werden, in welche Richtung diese Welt gehen wird.


Nicht viel anders und in seiner Prognose fast beängstigend genau hatte der Club of Rome-Bericht zur Lage der Menschheit im Jahr 1972 die Welt bereits mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ aufgerüttelt. Schon damals wurde klar, dass in einer Welt mit begrenzten Ressourcen kein grenzenloses Wachstum möglich sein würde. Die zentrale These des Berichts, der am MIT entstanden war, lautete: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde in den nächsten 100 Jahren erreicht.“ Klingt sehr aktuell, nicht wahr?


Zu den Lösungsstrategien war die Schlussfolgerung weniger eindeutig. So hieß es zwar ziemlich klar, dass eine Änderung der Wachstumsvoraussetzungen in Richtung eines Gleichgewichtszustands zwischen Ökologie und Ökonomie so rasch wie möglich erfolgen müsste, damit wir noch eine Chance hätten, die Lösungen schienen damals, retrospektiv gesehen zu Recht sehr schwierig zu sein. „Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt …, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums zu Gleichgewichtszuständen führen. Sie erfordern ein außergewöhnliches Maß an Verständnis, Vorstellungskraft und politischem und moralischem Mut.“ Auch dies ist wohl heute noch fast unverändert zutreffend. Wir brauchen nach wie vor einen Wandel zweiter Ordnung, eine grundlegende Veränderung des Denkens, des Herangehens an die Probleme und Chancen, die in unseren Gesellschaften liegen. Was sich verändert hat ist, dass uns heute ein wesentlich größeres Bewusstsein über die Dringlichkeit zur Verfügung steht und vor allem auch ein ungleich größeres Wissen über die Lösungsoptionen für nachhaltig sinnvolles Leben und Wirtschaften.


Für unsere Arbeit als Unternehmensberater*innen bedeutet das: Nie war die Bedeutung der Organisationen für die gesellschaftliche Entwicklung so wichtig wie heute. Aus diesem Grund haben wir auch unsere Mission als Beratungsfirma in diese Richtung nachgeschärft und werden noch stärker als bisher Fragen von ökologischer und gesellschaftlicher Relevanz in die Arbeit mit Unternehmen aller Art einbringen. Wir tun dies natürlich aus einer tiefen Überzeugung aber auch aus einem ganz pragmatischen Grund. Unsere These lautet: Nur Unternehmen, die ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung gerecht werden, werden mittel- und langfristig überlebensfähig bleiben. Diese Überzeugung teilen wir mit vielen aus der Zivilgesellschaft, aber auch einer steigenden Anzahl von Entscheider*innen in Unternehmen. Hoffnung geben aber auch positive Erfahrungen, die wir in unserer Arbeit mit den unterschiedlichsten Unternehmen, Organisationen der civil society und auch Institutionen sammeln konnten. Und so werden wir unsere Mission „Schöne Organisationen zu designen, die eine bessere Welt bauen helfen“ mit noch mehr Nachdruck und Begeisterung verfolgen.


Für die Gesellschaft gilt: sie braucht Vernetzung, Plattformen in denen Begegnung, Austausch und Dialog zu den Themen gesellschaftliche und organisationale Entwicklung gedacht und weitergebracht werden können. Oder wie es Dirk Baecker im Interview mit Ruth Seliger betont: „Die Gesellschaft braucht Foren, in denen ein politischer Diskurs auch stattfinden kann“ und in denen vor allem jene Themen eine Stimme bekommen, die in der parlamentarischen Arbeit nicht vorkommen oder in der Gesellschaft ausgeblendet werden.


Genau deshalb haben wir uns schon vor drei Jahren entschieden, eine solche Plattform für Dialog zu bauen, unser Systemicum. Das erste hat im Oktober 2018 stattgefunden. Das Feedback der Teilnehmer*innen war eindeutig: dieser Dialog muss weitergehen. Das zweite hätten wir für März 2020 geplant gehabt, leider eine Woche nach Lockdown 1. Es ist höchste Zeit, den Faden aufzugreifen. Am 4. März 2021 wird – und zwar egal in welcher Form – das 2. Systemicum stattfinden. Unsere Gäste kommen aus Wissenschaft, Politik, der civil society bzw. sind Vorreiter-Unternehmer und Unternehmerinnen, die dies ähnlich oder auch anders sehen als wir. Jedenfalls aber werden es Menschen sein, die sich für die Veränderung der Welt engagieren.


So wie wir.


Lothar Wenzl

Systemischer Organisationsberater für tief greifende Transformationsprozesse von Unternehmen im Spannungsfeld zwischen ökonomischer Logik und gesellschaftlicher Verantwortung.

Geschäftsführender Gesellschafter von trainconsulting.




Alle Infos zum Systemicum 2021 am 04. März 2021 finden Sie hier!

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