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Organisation und Führung

Lothar Wenzl 29. Januar 2019


Im Rahmen unseres Systemicums 2018 diskutierten Führungskräfte ganz unterschiedlicher Organisationen mit mir darüber, wie sich Organisationen und ihre Führung in die Zukunft entwickeln könnten.

Sigrid Thomaser von Energie Tirol, Christian Felber von der Gemeinwohlökonomie, Alois Kauer von VW Slovakia, Carl Lievens von Daikin, Konstantin Mitgutsch von Playful Solution und Prof. Rudi Wimmer von der OSB durchstreiften dabei spannende Themen im Kontext gesellschaftlicher Verantwortung von Organisationen und neuer Organisations- und Kooperationsformen als Antwort auf paradigmatische Veränderungen.

Als Ausgangsthese kristallisierte sich sehr schnell heraus, dass in den letzten 50 Jahren keine Unruhe vergleichbarer Art zu beobachten war. Eine Unruhe, die völlig neue Denk- und Steuerungsmodelle für Organisation und Führung nötig macht, um ausreichend qualitätsvolle, aber auch schnelle Antworten für die Märkte zu finden (Rudi Wimmer). Eine Unruhe, die aber auch so viele Chancen wie noch nie zu bieten hat, wie Alois Kauer von VW Slowakia meint.

Diese Chancen bestehen vor allem darin, dass Menschen Kooperation und Kommunikation auf Augenhöhe einfordern, sie noch nie so viele Möglichkeiten für Freiraum hatten und sich auf dieser Basis eine ganz neue Qualität der Zusammenarbeit in und zwischen Organisationen entwickeln könnte bzw. bereits am entwickeln ist, wie Konstantin Mitgusch zustimmt. Teams können mitgestalten, Menschen sollen Feedback auch nach oben geben, sollen Ideen neben oder trotz der Hierarchie selbstgesteuert weiterentwickeln. Dafür braucht es vor allem Wertschätzung für Ideen, die quasi aus der Tiefe der Organisation entstehen – ein langer aber wohl unvermeidbarer Weg, wie Carl Lievens aus eigener Erfahrung mit den Veränderungen in seiner Organisation weiß. Die Anforderung an die Verantwortungsübernahme durch Menschen und Teams ist aber auch eine der großen Herausforderungen der Organisationen von heute, sind sich Carl Lievens und Sigrid Thomaser einig. Eine der Achillesfersen der neueren Strömungen: Wollen und können die Menschen in Organisationen das? Welchen Rahmen und Voraussetzungen braucht es dafür heute?

Konstantin Mitgutsch spricht von neuen Ambivalenzen. Mehr Freiraum fordert den Menschen ein Mehr an Selbstverantwortung ab und einen guten, jedoch ungewohnten Umgang mit Unsicherheit. Begegnung auf Augenhöhe wird zur Forderung und zur Notwendigkeit, um Organisationen überhaupt antwortfähig zu halten. Führungskräfte, die eigene Unsicherheiten zu teilen bereit sind, sind gefragt und MitarbeiterInnen, die damit umgehen können und wollen. Kein leichter Weg, wenn man bedenkt, aus welcher Prägung die meisten von uns kommen. Er ortet eine neue Generation, die zwar mitgestalten aber dabei maximal 30 Stunden arbeiten möchte. Geld ist weniger wichtig geworden, dafür ein gutes Miteinander und ein wertschätzendes Klima, das eine gute Work-Life Balance ermöglicht, wie Sigrid Thomaser beipflichtet.

Als Rahmenbedingung für diese in jeder Hinsicht neue Offenheit braucht es aber trotz allem stabile Ordnung und Struktur, freilich nicht zu verwechseln mit bekannten Formen von Hierarchie und command and control. Die Frage ist, wie diese neue Kooperation im Inneren zu gestalten ist, wenn diese alten Modelle nicht mehr greifen. Die Runde war sich recht einig, dass diese Ordnung neue Räume für Dialog und Diskurs braucht, in denen die wichtigsten Fragen der Leistungsfähigkeit ausgehandelt werden können, immer wieder, im Trial- und Error-Verfahren, an den Nahtstellen zu den Märkten von Kunden und anderen Stakeholdern. Im Unterschied zu alten funktional-hierarchischen Strukturen heißt dies heute, die jeweils Richtigen im Unternehmen zu finden, die die spezifischen Antworten auf die Impulse aus dem Außen und Innen prozessieren können und Verantwortung für das Entscheiden und Einleiten erster Schritte übernehmen. Für die nächste Herausforderung sind dies jeweils andere Richtige. Immer wieder, und dies ist ein auffälliger roter Faden, kehrt die Runde zu Augenhöhe und Kooperation als Leitthemen für heutige Organisationsformen zurück. Sigrid Thomaser erzählt von der großen Aufgabe ihrer Organisation, der Energieagentur des Landes Tirol, in der Sinn und das große Ziel der Energieautonomie alles überstrahlen. „Wir könnten uns alle gar nicht vorstellen, anders zu arbeiten. Geld spielt hier nur eine sehr untergeordnete Rolle. Und trotzdem brauchen wir eine Führung, die Rahmen gibt, das wird auch bei uns mehr eingefordert“, meint sie.

Als zweite große These schälte Christian Felber heraus, dass diese Unruhe wohl nur bedeuten kann, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. In Zeiten, in denen die Bottom Line in Unternehmen, also das letztgültige Ziel, Geld und Gewinne zu machen, geworden ist. Die Frage von gesellschaftlicher Verantwortung, von Sinn und Ethik stellt sich in so einer entgrenzten Gesellschaft kaum, schon gar nicht an den Aktienmärkten. Und doch sehen wir Beispiele vor allem von Familienunternehmen, in denen Sinn und gesellschaftliche Verantwortung mehr und mehr Platz greifen.

Wenn in den meisten Verfassungen in der Welt wörtlich oder sinngemäß „Gemeinwohl“ als Staatsziel festgeschrieben ist, wieso kann man dann das herrschende Paradigma immer noch mit Wachstum, Effizienz, Konkurrenz und Leistung zusammenfassen? Ist nicht Ethik die Bottom Line? fragt Christian Felber, Gründer von attac und Mitbegründer der Gemeinwohlökomie nicht zu unrecht. Heftiges Nicken im Saal. Es geht um den Stellenwert des Gewinnemachens als Mittel und nicht als Zweck des Wirtschaftens. Die Diskussion dreht nun stark in Richtung Werte und Prinzipien, in dem viele im Saal ein Heraufdämmern von Ethik und Sinn sehen. Grundregeln in der Organisation, gemeinsam entwickelt und stetig referenziert, können als Kompass und Rahmen dafür dienen, meint Christian Felber noch. Sie helfen immer wieder die Richtschnur für das eigene Handeln zu definieren und zu halten. Ein zu normativer Ansatz, meint Rudi Wimmer, der aus seiner Sicht im vorherrschenden Clash der Kulturen nur bedingt nützlich ist, weil er Widerstand erzeugt und zu wenig pragmatisch ist. Ein Widerspruch, der uns alle, die sich mit Veränderung und Entwicklung beschäftigen, wohl bekannt ist. Und doch orte ich in der Runde weitgehend Einigkeit, dass es um Modelle geht, die Sinn, ethisches Wirtschaften, gesellschaftliche Verantwortung und Arbeiten am Gemeinwohl stärker in unsere Gesellschaft und die Organisationen tragen lassen.

Zur Zeit versuchen viele Unternehmen sich von Start-ups so viel wie möglich abzuschauen. Eine meist untaugliche Übung, findet Konstantin Mitgutsch und erhält aus dem Plenum Zustimmung, da diese Start-ups kaum Struktur bieten und fast ausschließlich darüber funktionieren, dass sich die GründerInnen für einen gewinnbringenden Exit ein paar Jahre vollkommen ausbeuten. 90% aller Start-ups sind gewinnorientiert und häufig auf einen Ausstieg der GründerInnen aus dem Arbeitsmarkt gerichtet. Sie bieten aber keine nachzuahmenden Modelle für Formen und Strukturen, die Organisationen heute brauchen, um nachhaltig und im Sinne von gesellschaftlicher Verantwortung arbeiten zu können.

Meine These, dass die Organisationen eine Avantgarde-Funktion in der Gesellschaft für diese Themen einnehmen, führt letztlich auch zu unserem dritten großen Thema, welche Rolle Führung in dieser so unruhigen, unsicheren Welt zu spielen hat. Wenn wir Organisationen als Innovationsmotor in der Welt begreifen, brauchen wir Führung, die sich als Dienstleistung am Gemeinwohl und an der Leistungsfähigkeit der Organisation versteht. Eine Führung, die sich selbst zurückstellt und trotzdem für Richtung und Rahmen sorgt. Wenn Organisationen heute schneller und effektiver lernen müssen als je zuvor, um in dieser unruhigen, aus den Fugen geratenen Welt gut zu überleben, dann wird Führung ihre Kernaufgabe neu zu definieren haben: kollektive Lernprozesse gestalten, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen und Settings schaffen und Regeln gemeinsam definieren, meint Rudi Wimmer und in der Runde gibt es dafür viel Zustimmung. Es braucht Regeln, die weniger normativ als gemeinsam entwickelt sind und die die (Kunden-) Märkte und relevanten Entwicklungen in der Welt im Blick haben. Agile, purpose driven-Organisation nennen wir das heute. Diese handhabbaren Regeln oder Prinzipien, neue Formen von Zusammenarbeit auf Augenhöhe (vor allem auch zwischen Führung und MitarbeiterInnen) und kollektive Lernprozesse sind es, die es Menschen in allen Arten von Systemen ermöglichen werden, dauernd nach neuen Lösungen zu suchen und Entscheidungen dafür gemeinsam auszuhandeln. Mit viel Flexibilität, mit Versuch- und Irrtumschleifen und einem Bewusstsein, dass Unsicherheit und Nichtwissen in einer VUCA-Welt uns alle begleiten werden.

Wie würde denn eine solche Organisation der Zukunft aussehen, frage ich noch. Rudi Wimmer meint, dass Organisationen sich in ein großes Kooperationssystem eingebunden sehen werden, das dem Wohl vieler dient und mit Partnern und anderen Umwelten gemeinsam ihre Ziele zu erreichen sucht. Einen Weg, den Carl Lievens mit seinem Unternehmen bereits seit einiger Zeit geht. Wie gelingt das aber in einem weltweiten Konzern, in dem, von den Aktienmärkten getrieben, Gewinnmaximierung Ziel statt Zweck ist. Carl Lievens erzählt von seinem Lernprozess, in dem er große Freiräume für diese Entwicklung erhalten hat, allerdings unterstützt von fünf Jahren ununterbrochenem Wachstum und Gewinnen. „Ich möchte mir noch nicht vorstellen, was passiert, wenn wir einmal nicht Gewinne abliefern können“, meint er abschließend.

Da war sie wieder, die Ambivalenz, der Clash der Kulturen. Gewinn als Mittel oder Zweck, nachhaltige Entwicklung im Sinne der Gesellschaft und des Gemeinwohls und/oder das Streben nach grenzenlosem Wachstum und maximaler Rendite für die Kapitalgeber. Dies kann man als Widerspruch verstehen aber auch als einen stetigen Prozess, diese Strömungen in unserer Welt zu balancieren.

In dieser Diskussion waren drei Hauptthemen klar ersichtlich. Erstens: Sinn und Werte kommen verstärkt an die Oberfläche organisationaler Realität. Sinn für die Menschen in ihren Lebenswelten aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Meiner Überzeugung nach wird dies in einer Welt, in der ökologische und soziale Fragen immer breiter eingefordert werden, auch einer der wichtigsten USPs für Unternehmen sein. Zweitens, und dem begegnen wir auch in unserer Arbeit als BeraterInnen immer stärker, geht es um Organisationsformen, mit denen Kooperation auf Augenhöhe gelebt werden kann. Und drittens drehte sich auch in diesem Panel viel um gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen. Als verbindendes Element wird Führung nach wie vor entscheidend sein, ihre Haltung und Rollen werden weiter eine radikale Transformation brauchen.

Wir von trainconsulting haben uns zur Aufgabe gemacht, diese Themen für Organisationen und wo immer wir können auch in der Gesellschaft mit zu gestalten, Führung in dieser Transformation zu begleiten aber auch anzuregen, Themen wie Sinn, Kooperation auf Augenhöhe und gesellschaftliche Verantwortung mehr und mehr zu integrieren. Mit Sicherheit werden uns diese Herausforderungen auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher und planetarischer Verantwortung von Menschen und Organisationen weiter begleiten. Eine Aufgabe, die kaum essentieller aber auch spannender nicht sein könnte. Wir werden ihr auch in unserem nächsten Systemicum 2020 nachgehen.

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