Corona – der Game Changer
Ruth Seliger I 15. Oktober 2020
Seien wir doch ehrlich: Es wird keinen „Weg zurück zur Normalität“ geben, es werden die gewohnten Instrumente und Methoden auf die Dauer nicht helfen, es wird uns unser gewohntes Denken nichts nützen. Corona verändert unsere Welt, unser Denken, unser Arbeiten, unsere Gesellschaft fundamental. Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Je früher und je schneller wir das anerkennen, umso besser können wir uns auf diese neuen Gegebenheiten einstellen.
Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht:
Zuerst die schlechten Nachrichten:
- Es ist anstrengend: jeder eingeübte Ablauf, jede gewohnte Tätigkeit, jede Bewegung muss neu angedacht und organisiert werden. Wir sind alle schon erschöpft.
- Es ist bedrohlich: die Wirtschaft knickt ein, Menschen verlieren ihre Arbeit, ihre Perspektiven. Es entsteht die Frage, ob sich manche Branchen noch erholen werden oder überhaupt erholen sollen. Aber was dann?
- Es ist gefährlich: die Krise spaltet die Gesellschaft noch mehr als bisher. Reiche und Mächtige können sich besser in der Krise einrichten, sind weniger bedroht als ärmere Menschen. Neid, Wettbewerb um die besseren Chancen bricht sich Bahn.
- Es gibt Gewinner und Verlierer der Krise: bei einigen Bereichen der Wirtschaft ist regelrechte Goldgräber-Stimmung entstanden. Für die einen läuft das Geschäft besser den je, andere Unternehmen nützen die Situation für schon länger geplante „Anpassungen“.
Die guten Nachrichten gibt es auch:
- Das Bewusstsein der Menschen hat sich vielfach verändert: Wir haben in der Quarantäne erlebt, was für uns wirklich „wesentlich“ und sinnvoll ist und dass wir gar nicht so viele Dinge brauchen, wie uns immer wieder eingeredet wird. Wir haben beobachtet, dass sich die Umwelt von unserer Wirtschaft erholt, wenn es am Himmel weniger Kondensstreifen und auf der Erde weniger Feinstaub gibt. Wir haben Berichte gesehen, dass Hasen und Rehe auf unseren Autobahnen herumhüpfen.
- Politische Dogmen ändern sich: Wir sehen, wie alte Ideologien der „Marktwirtschaft“ brüchig werden, indem der Staat wieder an Bedeutung gewinnt, das neoliberale Dogma der „Sparsamkeit“ und des Austrocknen des Sozialstaates zerbricht, und wieder viel Geld in die Hand genommen wird, um öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser und Menschen zu unterstützen.
- Wir sehen, dass eine neue Kraft von Kreativität und Innovation entsteht. Zahlreiche neue Initiativen und Ideen sprießen aus dem Boden. Neben Neid und Kampf um die besseren Infektionsdaten gibt es auch neue Formen der Hilfsbereitschaft, der Solidarität.
- Das Wichtigste aber ist, es ist ein öffentlicher Diskurs über unser Leben und unsere Gesellschaft entstanden, der bisher unbesprochene Themen besprechbar macht: Wie wird Arbeit in Zukunft aussehen, wie wird sie verteilt werden; was bedeutet Gerechtigkeit?
Als systemische Organisationsberater*innen und als Spezialist*innen für Change-Management kann uns diese Entwicklung nicht egal sein. Unsere Kunden sind Organisationen, die sich in diesem gesellschaftlichen Umfeld bewegen und darin erfolgreich sein müssen. Wir können gar nicht anders, als die gesellschaftlichen Veränderungen mitzudenken, wenn wir Organisationen beraten, Antworten auf diese Veränderungen zu finden. Als systemische Berater*innen sprechen wir von Veränderungen Zweiter Ordnung, wenn sich tiefgreifende Muster verändern, wenn Glaubenssätze zerbrechen – etwa, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist, oder dass ein „unsichtbares Händchen“ unsere Wirtschaft lenkt.
Die Corona-Krise hat das Zeug zu einer Veränderung Zweiter Ordnung. Wir sprechen dabei von einer Situation absoluter Ungewissheit, Angst und Chaos. Diese Krise trifft uns genauso wie unsere Kunden: auch wir als Berater*innen erleben Ungewissheit und Angst, auch wir haben keine „richtigen“ Antworten auf die Unsicherheiten unserer Kunden. Es gibt keine Rezepte, keine Instrumente, die wir einsetzen können, es sind alles stumpfe Werkzeuge. Wir können nicht so weitermachen, wie bisher, nur jetzt über Zoom.
Wir sitzen mit unseren Kunden in einem Boot.
Innovation, Kreativität, neue Lösungen und Lösungswege sind jetzt gefragt
Wer die aktuellen öffentlichen Diskussionen über Lösungen der Corona-bedingten Probleme verfolgt, kann beobachten, dass beinahe durchgehend Lösungen Erster Ordnung, also Lösungen innerhalb unserer gewohnten Denk- und Handlungsformen gesucht werden: mehr Geld da, strengere Regelungen dort, mehr Werbung für Autos und neue Möbel, Grenzen schließen. Das wird die strukturellen Fragen nicht ändern, die durch die Krise sichtbar geworden sind.
Auch in der Beratung werden vielfach Lösungen Erster Ordnung gesucht: neue digitale Tools, mit denen man die alten Themen bearbeiten und die übliche Kommunikation organisieren kann. Mit neuen Tools im kleinen Raum des Bekannten bleiben ist vielfach angesagt.
Um gemeinsam mit unseren Kunden die Veränderungen rund um uns zu meistern, um nicht nur gut damit zurecht zu kommen, sondern auch durch sie zu lernen und uns zu entwickeln, brauchen wir neue Wege, um zu neuen Lösungen zu kommen, eine andere Form des Denkens und der Kooperation. Auch wir haben dafür noch keine Rezepte. Wir sind selbst im Modus des Nachdenkens und Experimentierens. Daran möchten wir Sie teilhaben lassen.
Wir haben ein paar Hypothesen:
These 1: Ohne Systemisches Denken werden wir die Krise nicht überwinden: Große Veränderungen brauchen ein anderes Mindset. Insellösungen, Lösungen für einen Teil der Probleme, die durch Corona sichtbar geworden sind, gibt es in unserer vernetzten Welt nicht mehr. Das Virus ist ein globale Reisender, der bei uns allen Halt macht und uns berührt. Diese Krise verlangt von uns daher größere Bilder, den Blick auf größere Zusammenhänge. Das bedeutet: systemisches Denken.
These 2: Kooperation ist Weg und Ziel und Teil der Lösung Eine globale Krise kann nicht durch Einzelmaßnahmen, durch einen Wettbewerb um Ressourcen – wie Masken, Testsets oder „die beste Strategie“ gelöst werden. Corona zeigt uns, dass wir die Probleme dann lösen können, wenn wir viele Menschen daran beteiligen und aus vielen unterschiedlichen Perspektiven beurteilen. Nachhaltige Lösungen brauchen Kooperation, voneinander Lernen, wechselseitige Unterstützung. Dafür haben wir bereits viele Voraussetzungen, wie neue Kommunikations-Instrumente.
These 3: Arbeit neu denken und neu gestalten Angenommen, manche Branchen werden sich nicht mehr von der Krise erholen, etwa weil sie sich überlebt haben oder weil sie mit ihren Produkten, ihrer Produktionsweise, ihren Geschäftsprozessen für die Umwelt zu gefährlich sind, oder weil etwa fossile Energie keinen Wert mehr darstellt, dann müssen schnell neue Formen des Wirtschaftens – der Energie-Gewinnung, der Produkte, des Handels und Transports und ganzer Branchen, wie etwa der Tourismusindustrie oder der Automobilindustrie – vollkommen neu angedacht werden. „Wirtschaft“ wird sich möglicherweise nicht mehr durch unseren Konsum aufrechterhalten, sondern durch Bedarf nach den wesentlichen Dingen. Eine neue Generation „Z“ wächst heran, für die Autos kein Statusbeweis sind, sondern im besten Fall ein Mittel um von A nach B zu kommen, im (für die Autoindustrie) schlechtesten Fall als Umweltzerstörer. Welche Antworten haben wir, haben Unternehmen darauf, wenn dadurch Arbeitsplätze verloren gehen?
Für die Bearbeitung solcher tiefgreifenden Fragen brauchen wir in unserer Gesellschaft einen anhaltenden Diskurs, Räume und Rahmenbedingungen für Austausch, Experimentieren. Viele haben das bereits länger verstanden. So hat etwa der ORF 1 eine Sende-Reihe „Reparatur der Zukunft“ begonnen, in der solche kreativen Ideen vorgestellt werden.
Systemicum 2021
Diskurs – Kooperation – Kreativität – Innovation: der Stoff, aus dem die Zukunft gemacht wird
Wenn wir als systemische Berater*innen etwas wirklich gut können, dann ist es, dass wir in Veränderungssituationen Kommunikationsräume schaffen können, in denen Reflexion und Lösungsfindungen stattfinden können. Mit dieser Erfahrung und Kompetenz wollen wir unseren Kunden und zugleich der Gesellschaft, in der wir alle leben, anbieten neue Lösungsräume zu nützen. Wir haben das Format „Solution Labs“ geschaffen: damit meinen wir ein Setting, in dem an konkreten Fragestellungen unserer Kunden, aber auch von Vertreter*innen gesellschaftlicher Bereiche in einem gemeinsamen Diskurs mit Wissenschaftler*innen und „Stakeholdern“ über mögliche Lösungen nachgedacht werden kann.
In Solution Labs wird durch Kooperation nach Lösungen gesucht, die für die jeweilige Organisation einen Musterwechsel bedeutet und sich zugleich im Rahmen von ökologischen und gesellschaftlich nachhaltigen bewegen. „Lösungen“ dieser Art sind Musterwechsel, die auch ein Los-Lösen bedeuten, die mit der Komplexität unserer Welt und mit den Werten und Zielen für eine „bessere Welt“ – den SDGs – in Einklang stehen. Solche Lösungen bedeuten auch, dass sich das „Mindset“, unser Weltbild, unser Menschenbild mitverändert. Solution Labs sind nicht nur ein Lösungs-Raum, sondern auch ein Lernraum und ein Entwicklungsraum, dessen Kern die Zusammenarbeit ist. Nur so – davon sind wir überzeugt – entsteht etwas Neues. Zusammenarbeit ist der Weg und ist das Ziel einer gesellschaftlichen Entwicklung.

In unserem nächsten Systemicum wollen wir diese Form der Lösungsfindung vorstellen, ausprobieren und damit Erfahrungen machen. Im gemeinsamen Gespräch mit Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollen Lösungen für konkrete Frage- und Themenstellungen von Unternehmen gefunden werden, die für die Unternehmen selbst, aber auch für Umwelt und Gesellschaft einen Unterschied machen, einen Musterwechsel bedeuten.
Wir sind davon überzeugt, dass wir in einer Zeit leben, in der vieles zu Ende geht, das uns selbstverständlich war und das wir uns gar nicht wegdenken können. Klimakatastrophe und Pandemie lehren uns, dass sich etwas grundsätzlich ändern muss, dass etwas Neues entstehen muss.
Wir wollen mithelfen etwas „Neues“ zu entwickeln, und dazu soll das „Systemicum 2021“ beitragen. Corona hat uns dazu einen Impuls gegeben, den wir nützen wollen.
Infos und Anmeldemöglichkeiten zum Systemicum 2021 finden Sie hier.